Interview: Wundermittel gegen Darmkrebs?
Herr Prof. Dr. Jurowich, in einer amerikanischen Studie konnten alle 14 an Mastdarmkrebs erkrankten Teilnehmenden durch ein Medikament geheilt werden. Wird eine OP damit in Zukunft hinfällig?
Nein, ganz im Gegenteil. Solche Schlagzeilen sind eher bedenklich, da hier sehr komplizierte Studienergebnisse populär dargestellt werden und sich nach solchen Darstellungen immer Patientenanfragen häufen, ob eine Operation überhaupt noch notwendig sei. Um das Ganze gleich vorwegzunehmen: Die Operation spielt heute - und das wird sich auch in nächster Zukunft nicht ändern - in der Behandlung von bösartigen Tumoren des Gastrointestinaltraktes die entscheidende Rolle und bietet regelhaft die Möglichkeit, geheilt zu werden.
Wie ordnen Sie die Studienergebnisse ein?
Die in der Zeitschrift Nature publizierte Arbeit aus den USA ist in der Tat interessant und verspricht für einzelne, ausgewählte Patienten tatsächlich eine Verbesserung der Prognose. Die Studie berücksichtigt jedoch nur einen kleinen Anteil von Personen mit Mastdarmkrebs, die spezielle genetische Merkmale aufweisen. Diese treten nur bei ca. 5 % der Betroffenen auf, die überwiegende Mehrheit kann also von dem Medikament Dostarlimab nicht profitieren. Das Medikament an sich erscheint vielversprechend und bestätigt letztendlich, dass weitere Forschung notwendig ist. Es bestärkt mich als behandelnden Arzt in dem Ansatz, zunehmend individuelle Therapiestrategien für Patientinnen und Patienten mit Dick- oder Enddarmkrebs zu entwickeln.
Wie sieht momentan die klassische Therapie bei Darmkrebs aus?
Die vollständige Entfernung des erkrankten Darmabschnittes, bzw. bei sehr frühen Tumorstadien auch die vollständige lokale Entfernung, ist derzeit die einzige therapeutische Option, die Heilung bieten kann. Viele Betroffene werden heute nicht mehr ausschließlich operiert, sondern abhängig von bestimmten Merkmalen der Tumore zusätzlich behandelt, zum Beispiel mit Chemotherapeutika oder Antikörpern, die im Einzelfall die Prognose verbessern können. Speziell bei Enddarmkrebs werden die meisten Betroffenen multimodal behandelt, also durch eine Kombination von verschiedenen Therapieansätzen - Chemotherapie, Strahlentherapie und Operation - um den bestmöglichen Erfolg zu erzielen.
Welche Rolle spielt die Operation bei der Darmkrebsbekämpfung?
Die Operation ist der zentrale Pfeiler in der Darmkrebsbehandlung. Abhängig vom Tumorstadium kann durch eine adäquate Operation, die heutzutage regelmäßig auch minimalinvasiv durchgeführt werden kann, in kurzer Zeit oft sogar eine Heilung erzielt werden. Für den größten Teil der Betroffenen ist und bleibt dies der beste Therapieansatz. Zugleich ist es natürlich ein großer Gewinn, wenn die Pfeile im Köcher gegen bösartige Erkrankungen in diesem Bereich stetig mehr werden und wir damit immer mehr Patientinnen und Patienten berechtigte Hoffnung auf Heilung machen können.
In der Öffentlichkeit schneidet die Chirurgie oft nicht gut ab: Debatten über Mindestmengen befeuern den Eindruck, Operateure operierten oft der Zahlen wegen und nicht, weil es das Mittel der Wahl ist. Kann eine Operation bei Darmkrebs „sinnlos“ sein?
Eine Darmkrebs-OP erfolgt immer nur dann, wenn die Diagnose bereits durch umfassende Voruntersuchungen gesichert ist. Als zertifiziertes Darmkrebszentrum sind wir verpflichtet, eine entsprechende Qualität sowohl bei der Indikationsstellung als auch bei Durchführung der Operation nachzuweisen und darüber hinaus auch den Nachweis zu erbringen, dass die von uns versorgten Patientinnen und Patienten den neuesten Leitlinien entsprechend behandelt werden. Zusammenfassend ist somit die Sorge vor sinnlosen Operationen in diesem Zusammenhang unberechtigt.