Tag der Rückengesundheit: „Rückenschmerz und Bewegungsmangel – das hängt eindeutig zusammen“
Über Rückenschmerzen lässt sich im Grunde feststellen: Man ist entweder selbst mehr oder weniger betroffen oder kennt jemanden, der darunter leidet – Herr Dr. Tomasino, ist unser Rücken denn überhaupt nicht belastbar?
Das würde man denken, wenn man sich die Zahlen in unserer Praxis anschaut und wenn man sich im Freundeskreis so umhört. Jedoch ist genau das Gegenteil eigentlich der Fall! Der Rücken und die gesamte Wirbelsäule sind für Belastung und Bewegung ausgelegt. Um einen schonenden Umgang mit der Wirbelsäule zu gewährleisten ist es jedoch sehr wichtig, eine ausreichende Stützmuskulatur zu haben.
Es fehlt also oft an ausreichender Muskulatur?
Richtig. Insbesondere in den heutigen Zeiten mit vielen Arbeitnehmern, die in Büros den ganzen Tag am Computer sitzen, wird die Stützmuskulatur nicht mehr ausreichend trainiert und angesprochen. Dadurch kommt es vermehrt zu „Überlastungen der Wirbelsäule“ und somit zu Schmerzen. Unter anderem deshalb sehen wir vermehrt auch jüngere Patienten mit ausgeprägtem Rückenschmerz.
Welchen Tipp haben Sie, damit Rückenbeschwerden gar nicht erst entstehen?
Der wichtigste Faktor in jedem Lebensalter ist die ausreichende Bewegung. Das Aufrechterhalten und die aktive Kräftigung der Bewegungs- und Stützmuskulatur dient zum Schutz aller Gelenke, insbesondere der Wirbelsäule. Ob dies über eine Rücken-App oder über das „Gassigehen“ mit dem Hund, häufiges Spazierengehen oder durch eine bestimmte Sportart erfolgt, ist dabei nicht entscheidend. Es gibt eindeutige Studienergebnisse, die einen Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und erhöhtem Rückenschmerz belegen.
Was sind die häufigsten Ursachen für Rückenbeschwerden?
Die häufigste Ursache für den akuten Schmerz ist der „Hexenschuss“, eine meist harmlose, einschießende Schmerzattacke, ausgelöst durch eine „falsche Bewegung“, oder ein steifer Nacken am Morgen. Meist ist nur eine bestimmte Stelle am Rücken oder Nacken betroffen. Dieser Akutschmerz kann sehr ausgeprägt sein, vergeht aber in der Regel nach einigen Tagen wieder. Davon zu unterscheiden ist ein ausstrahlender Schmerz in den Arm oder in das Bein, der mit Gefühlsstörungen oder sogar Lähmungen einhergehen kann. Ursache hierfür können Bandscheibenvorfälle oder Verengungen des Rückenmarkskanals bzw. der Nervenaustrittskanäle sein.
Wann sollten Betroffene ärztlichen Rat einholen?
Im Falle der eben genannten ausstrahlenden Schmerzen in Arm oder Bein, insbesondere bei Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen, ist eine dringliche Vorstellung über eine Notaufnahme sinnvoll. Wenn ein akuter Schmerz länger als eine Woche anhält oder sich zwar bessert, nach drei Wochen aber immer noch im Alltag einschränkt, sollte der Hausarzt aufgesucht werden. Dieser kann dann je nach Dringlichkeit zum Spezialisten überweisen.
Gerade ältere Menschen haben immer wieder Rückenschmerzen. Sind diese Teil des Alterungsprozesses und etwas, mit dem man sich mit zunehmendem Alter abfinden muss?
Die Neigung zu Schmerzen kann zwar grundsätzlich als Teil des Alterungsprozesses gesehen werden, dennoch muss es in jeder Lebenslage möglich sein, mit Schmerzen zurechtzukommen. Hierfür ist es ebenfalls zwingend notwendig, auch im hohen Alter noch beweglich und mobil zu bleiben. Auch wenn das nur mit Hilfsmitteln wie Unterarmgehstützen oder Rollatoren möglich ist, sollten ältere Menschen möglichst mobil bleiben. Wenn Bewegung nicht mehr möglich ist, ein Leidensdruck entsteht und der Patient immobiler wird, sollte immer ärztliche Unterstützung eingeholt werden, denn häufig können auch mit nicht operativen Maßnahmen entscheidende Verbesserungen der Lebensqualität erreicht werden.
Wie sieht eine klassische konservative Behandlung bei akuten Rückenschmerzen aus?
Die klassische konservative, also nicht operative Therapie, besteht aus Schmerzmitteln, Schonung vor massiver Belastung und Förderung von Bewegung und milder Belastung. Zusätzlich können Maßnahmen wie Physiotherapie helfen. Lokale Wärmeapplikation wie ein Kirschkernkissen können die Durchblutung der Rückenmuskulatur steigern und schmerzlindernd wirken. Aufgrund der teilweise sehr intensiven Schmerzerfahrung sollte man sich von dem Schmerz nicht einschüchtern einlassen und bei Ängsten und Sorgen ärztlichen Rat einholen. Bei hartnäckigen Schmerzen können gezielte Injektionen an der Wirbelsäule den Genesungsprozess beschleunigen.
Neben konservativen Möglichkeiten gibt es auch operative Verfahren. Bei welchen Krankheitsbildern ist die OP das Mittel der Wahl?
Primär streben wir immer eine konservative Therapie an. Es gibt nur einige wenige Ausnahmen, die zu einer direkten operativen Maßnahme führen: die akute Lähmung, akute Blasen- und Stuhlinkontinenz sowie eine ausgereizte konservative Therapie über drei Monate wären hier einige Zustände. Falls im Rahmen der konservativen Behandlung, zum Beispiel eines Bandscheibenvorfalls, die Schmerzen nicht in einem erträglichen Rahmen reduziert werden können, wäre hier auch eine zeitnahe operative Maßnahme indiziert.
Sie leiten das zertifizierte Wirbelsäulenzentrum am InnKlinikum Mühldorf und führen häufig auch Operationen an der Wirbelsäule durch. Solch eine OP gilt vielen nach wie vor als großes Schreckgespenst. Sind die Ängste berechtigt?
Letztlich sollte man vor allen operativen Eingriffen Respekt haben. Durch hohe Qualitätsstandards sowie die Nutzung moderner Techniken im Operationssaal sind die Risiken bei operativen Maßnahmen an der Wirbelsäule aber mittlerweile deutlich vermindert. Der technische Fortschritt hat hier in den letzten 20 Jahren deutliche Vorteile gebracht. Operationen sind sicherer und schonender geworden. Seit Gründung der Wirbelsäulenchirurgie in Mühldorf legen wir deshalb großen Wert auf eine hochmoderne operative Ausstattung, die im Wesentlichen einer universitären Einrichtung entspricht. Die Superspezialisierung, wie auch in unserem Fall in Mühldorf, trägt ebenfalls zu einer erhöhten Sicherheit bei: Als ausgebildete Neurochirurgen arbeiten wir ausschließlich im Bereich der Wirbelsäule und haben daher besonders viel Expertise und Erfahrung auf diesem Gebiet.
Wie gehen Sie mit Ängsten von Betroffenen in Ihrem Alltag um?
Für mich ist eine offene Kommunikation der Alternativen, der Möglichkeiten, der Risiken und Erfolgsaussichten einer Operation immer zwingend notwendig. Des Weiteren ist mir aufgefallen, dass ein persönliches Gespräch mit wenig medizinischer Sprache häufig beruhigend wirkt. Für mich ist es wichtig den Patienten kennenzulernen, um den Leidensdruck und den Krankheitsverlauf abschätzen zu können. Jeder Patient ist anders und somit muss auch die Therapie auf diesen angepasst sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Tomasino. Mehr über unser Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie erfahren Sie auf www.innklinikum.de/wirbelsäulenzentrum
BUZ: Dauerbrenner Rückenschmerz: Nur wenige Fälle müssen wirklich operiert werden, weiß Wirbelsäulenspezialist Dr. Andre Tomasino.
